
„Du musst dich selbst mehr in den Vordergrund rücken, um dein Label bekannter zu machen! Das sagen mir die Leute. Aber ich kann das nicht. Ich liebe Mode und Farben, aber ich trage kein Make up und als ich als Model gearbeitet habe, wollte ich nie meine Fotos sehen. Ich kann das einfach nicht so gut.“
Jeanne de Kroon ist 23 Jahre alt und wie sie da auf dem alten, knarzigen Holzstuhl in ihrer hellen Küche mit abgezogenen Tapeten sitzt und erzählt, wird klar, wie viel Ehrlichkeit – und vielleicht auch wie viel Unsicherheit – hinter ihrem vor Lebenslust und Freude sprudelnden Wesen steckt.
Wenn Jeanne spricht, dann kommt hin und wieder, zwischen den Worten, die sie mit der typisch süßlichen, holländischen Färbung ausspricht, ein gurgelndes Lachen aus ihr heraus. Sie lacht, reißt die Arme in die Luft, mimt Umarmungen, wenn sie jemanden beschreibt, den sie gern hat und scheint sämtliche Energien, die einem Menschen zur Verfügung stehen, in gebündelter Form auf ihrem Gesicht und in ihrer ganzen Körpersprache zur Schau zu tragen. Es ist eine Freude ihr zuzuhören. 2016 gründete Jeanne de Kroon ihr Label Zazi Vintage. Wir besuchen sie in ihrem Zuhause im bunten Neukölln.

Um ihre Geschichte zu erzählen, beginnt Jeanne ganz am Anfang. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Ort in den Niederlanden am Meer. „In einer Bubble“, einer Blase. Ihre Mutter arbeitete als Kunst- und Modejournalistin, ihr Vater drehte Filme zur Magie des Lichts im 17. Jahrhundert in Malereien niederländischer Künstler. Von Kind an gingen bei ihnen zuhause verrückte Künstler ein und aus. „Was ich suchte, war Sicherheit. Deshalb beschloss ich Jura und Mathematik zu studieren und etwas ganz anderes zu machen als meine Eltern.“
Als sie sich aber darüber bewusst wurde, dass das alles in eine ziemlich absehbare Richtung führen würde und es sie bei dem Gedanken an ihr Selbst in 10 Jahren mit Mann und Kind ein wenig grauste, schmiss sie noch einmal alles über den Haufen und ging nach Paris. Dort spielte sie Ukulele und lernte die französische Stadt aus den Augen einer Straßenmusikerin kennen.
Klingt wie der Anfang eines Romans. Und nicht nur der hört sich so an. Denn kurz darauf wurde Jeanne in Paris von einer Modelagentur angesprochen. Sie ging nach New York und lebte dort auf engstem Raum mit ihren Model-Kolleginnen. Als sie Besuch von einer Freundin bekam und deren Mutter erschrocken war beim Anblick der viel zu dünnen, traurigen und schwarzhaarigen Jeanne, wurde ihr bewusst, dass sie etwas ändern musste. Sie begann zu reisen, nach Indonesien und Vietnam.



„Dann kam ich nach Berlin, um Philosophie zu studieren. Es war Sommer und ich habe sehr viel gefeiert. Ich hatte diesen Berghain-Look. Komplett schwarz.“ Eine weitere Reise führte Jeanne in diesem ersten Berlin-Jahr nach Nepal. Dort begegnete sie einer Frau, die das junge Mädchen musterte, zur Seite zog und fragte: „Your eyes look like celebration, but your outfit does not.“
Sie nahm Jeanne mit in eine kleine Gasse und führte sie in ihren Vintage-Laden, wo sie ihr ein glitzerndes Bollywood-Top in die Hand drückte. Eines, das Jeanne in den folgenden Monaten fast täglich tragen sollte: „Die Labels, für die ich in New York gemodelt hatte, vertraten eine Sicht von Mode, für die ich keine Werbung machen wollte. In meinen Augen sollte Mode Frauen stärken und verbinden – nicht schwach machen. Mein Philosophie-Studium hat diese Sicht noch einmal aufgegriffen und meine direkten Einblicke in die Arbeitsbedingungen, die in Ländern wie Indien und Nepal in den Textilfabriken herrschen umso mehr. Dort müssen die Frauen Windeln tragen, weil sie während der Arbeit nicht auf die Toilette gehen dürfen. Für Konzerne, die das unterstützen, konnte ich mich nicht länger vor die Kamera stellen und sexy gucken.“




An der Grenze von Pakistan zu Indien stieß Jeanne auf Hochzeitskleider, die die Frauen dort verkauften – für 30 Rupie. Die Männer dagegen verscherbelten die Teile für bis zu 3000 Rupie an Touristen, weil nur sie der englischen Sprache mächtig sind. „Dieses System wollte ich durchbrechen.“
Über eine Freundin, die ebenfalls ein Fair-Fashionlabel hat, lernte Jeanne schließlich Madhu kennen. Die Zusammenarbeit mit ihr sollte zu Jeannes Label „Zazi“ führen. „Sie hat es aus sich selbst heraus geschafft aus der Armut herauszukommen, hat Englisch gelernt und ist schließlich an einer Universität angenommen worden.“ Danach begann Madhu ein lokales Projekt, um Frauen miteinander zu vernetzen und ihnen einen Startpunkt zu geben, um davon ausgehend ihr selbständiges Business aufzubauen. Sie kaufte Nähmaschinen und begann mit ihnen an Textilien zu arbeiten.
Jeannes Überzeugung bestand zu dieser Zeit darin, nur Vintage-Teile weiterverkaufen zu wollen, weil es Ressourcen schone und keine zusätzlichen Materialien produziere, die es sowieso schon zu viel auf der Erde gibt. Madhu aber erklärte Jeanne, dass es den Frauen nicht genug Arbeit verschaffe, alte Teile zu sammeln. Sie bräuchten Arbeit, müssten etwas produzieren. So begann Jeanne, Kleider zu entwerfen. „Das war ein mehr ein Mittel zum Zweck. Aber da ich schon mein Abi-Kleid aus einem IKEA-Vorhang zusammen gebastelt hatte, dachte ich mir, dass ich diese Fähigkeit zu entwerfen, jetzt eben auf etwas professionellere Weise wieder aufrufen würde.“
Die Frauen nähen vier Kleider im Monat. Von ihrem Gehalt legt Madhu 50 bis 60 Euro im Monat zurück und spart es für sie. Nach einer Weile kommt sie auf die Frauen zu und bespricht mit ihnen, ob sie nun ein eigenes Business aufmachen wollen. „Die Frauen sollen nicht abhängig sein von einer jungen, blonden Niederländerin, die in Berlin ihre Kleider verkauft.“ Sie sollen sich selbständig machen und eine eigene Existenz aufbauen.





Auf meine Anmerkung hin, dass ihre Kleider relativ teuer seien und nur wenige sie sich leisten könnten, meint Jeanne, dass es ihr darum auch gar nicht gehe. Ihr Konzept geht meiner Sicht der Dinge nach nicht auf, weil zu wenige Menschen sich die fair hergestellte Kleidung auch wirklich leisten können. Statt eine ethische Alternative für die große Masse zu kreieren, wird so wieder eine Trend-Blase für ein paar wenige Privilegierte geschaffen.
Jeanne versteht mein Argument, definiert ihr Ziel aber anders. Dieses bestehe hauptsächlich darin, zunächst einmal ein breites Bewusstsein für Themen wie Menschenrechte und Klimaschutz entwickeln. Das es so noch nicht gebe. Denn ohne Identifikation existiere keine Empathie und ohne Empathie kümmere sich keiner darum.
Wenn man sich mit den Frauen in Bangladesh, die die Kleidung produzierten, nicht identifizieren könne, sei es schwierig, sich in ihre Lage hineinzuversetzen. „Du kannst nicht erwarten, dass jeder ein Weltverbesserer ist. Und trotzdem kann es manchmal schon reichen, ein Blumenkleid aus den 70ern im Second-Hand-Laden zu kaufen, statt ein Neues. Und außerdem will ich zeigen, dass ethische Mode sehr wohl schön sein kann.“
Durch ihre Arbeit daran kann Jeanne nun beide Leidenschaften und Interessen verbinden: Mode und Menschenrechte. „Es gibt keinen Tag, an dem ich mich in meiner Arbeit nicht mit den Rechten der Frauen auseinandersetze und trotzdem bin ich kreativ und entwerfe Kleider.“

Ihrer Philosophie, nichts Neues herzustellen, da es sowieso schon genug von allem gebe, ist Jeanne auch nach dem Umschwenken zu eigenen Kollektionen treu geblieben: „Wir produzieren keine neuen Stoffe. Unsere Frauen nähen die Kleider aus alten Materialien, die es sowieso schon gibt. Ich entwerfe jetzt, statt nur Vintage-Teile einzukaufen und trotzdem kreiert es neue Jobs für Frauen in Entwicklungsländern.“
Fragt man Jeanne nach ihren Vorbildern, dann spricht sie von „Power-Frauen, die intelligent sind und die Welt heimlich ändern, wie Martha Nußbaum, Diana Vreeland oder Emma Watson.“
In den ersten beiden Beschreibungen stimme ich mit ihr überein – über den letzten Punkt sollten wir nochmal reden. Heimlich sollte da nämlich nichts passieren. Statt dass niemand etwas davon mitbekommt, soll alle Welt wissen, welche Frauen gerade die Welt verändern.




Danke liebe Jeanne!
Fotos: Julia Novy
Der Beitrag Mode und Menschenrechte: Unsere Homestory mit Jeanne von Zazi Vintage erschien zuerst auf Journelles.